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Work-Life-Balance-Barrieren für Karriereorientierte

Verantwortlicher Autor: Prof. Dr. Richard Streich Paderborn, 26.09.2018, 19:13 Uhr
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Work-Life-Balance
Work-Life-Balance  Bild: de.clipdealer.com

Paderborn [ENA] Work-Life-Balance wird im Allgemeinen definiert, durch das ausgewogene Verhältnis zwischen Berufsleben und Privatleben. Zentral wird eine Übereinstimmung der persönlichen Lebenssituation mit den eigenen individuellen Bedürfnissen und Zielen angestrebt.

Diese und entsprechende ähnliche, allgemein akzeptierte Definitionen weisen schon apriori der Arbeitswelt (Work) einen wesentlichen und zudem separaten Teil des Lebens (Life) zu, obwohl die Arbeitswelt normalerweise als integraler Bestandteil des Lebens zu definieren wäre. Die Life-Dimension wird in der Work-Life-Balance-Diskussion somit degradiert auf die Privatwelt und assoziiert zudem einen Gegensatz zur Arbeitswelt, der für ein sinnerfülltes Leben ausbalanciert werden muss. Unter dieser Prämisse unterliegen sowohl etablierte Manager als auch karriereorientierte Nachwuchskräfte besonderen Herausforderungen und Barrieren.

Untersuchungen des Verfassers zeigen, dass ein zentrales Kennzeichen der „Work-Situation“ von Führungskräften der zu beobachtende permanente Zeit- und Arbeitsdruck im Arbeitsvollzug ist. Nahezu zwei Drittel der Manager fühlen sich „stark ausgelastet“. Die Führungskraft der mittleren Ebene empfindet sich nicht selten als eine „Knautschzone“ im Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmerwünschen und Anforderungen von Seiten der Geschäftsleitung. Eine eindeutige Positionierung der Führungsrolle fällt dabei oftmals schwer. Die zu bewältigenden Sachaufgaben drängen notwendige Führungsaufgaben in den Hintergrund.

Obwohl die Führungskraft die Mitarbeiterführung als wichtig erkennt, wird diese vielfach von ihr quasi „nebenbei“ erledigt. Dies ist besonders dann verstärkt zu beobachten, wenn sich die Stellenbesetzungen und die Karrierefaktoren in den Unternehmen weitergehend auf die erfolgreiche Erledigung von Sachaufgaben beziehen. Dementsprechend werden solche Manager von ihren Mitarbeitern oftmals eher als „Interventionskraft auf der Sachebene“ denn als „Motivationskraft auf der Führungsebene“ wahrgenommen.

Die „Life-Situation“ von Führungskräften ist durch wenig persönliche Freizeit gekennzeichnet, die oftmals noch durch berufsähnliche Aktivitäten verplant ist. Sie sind in überdurchschnittlichem Maße in arbeitsgebundene Repräsentationsaufgaben eingebunden, obwohl ihnen solche Aktivitäten eher unsympathisch sind. Vielfach sind Hausbesitz und/oder eine Eigentumswohnung vorzufinden, obwohl die damit einhergehenden Belastungen (z.B. Finanzierung, Arbeiten am Haus) aufgrund der Zeitrestriktionen und der finanziellen Verpflichtungen vielfach als unangenehm empfunden werden. Diese kurzen Schlaglichter zeigen, dass bei Führungskräften nicht selten ein selbst induzierter Stress in der Privatwelt zu konstatieren ist.

Karriereorientierte Nachwuchskräfte unterliegen ähnlichen Stress- und Barrierefaktoren in ihrer Work-Life-Balance wie die etablierten Manager - wie die Ergebnisse einer COMMENT-Trendanalyse des Autors aufzeigen. Die berufliche Abwesenheit von zu Hause in einer normalen Arbeitswoche ist überdurchschnittlich hoch. Sie beträgt bei der Hälfte über 60 Stunden. Die reale Arbeitszeit bei zwei Drittel umfasst über 50 Stunden pro Woche. Die Befragten sympathisieren intensiver mit den privaten Rollen (Lebenspartner, Freund, Elternteil) im Unterschied zu den beruflichen Rollen (Mitarbeiter, Kollegen, Führungskraft). Wie bei den aktiven Managern wird die Führungskraft-Rolle am „unsympathischsten“ bewertet.

Fast alle Karriereorientierten arbeiten sowohl in der Woche als auch am Wochenende in ihrer privaten Zeit für den Beruf. Im Durchschnitt sind dies - analog zu den Führungskräften - ca. fünf Stunden pro Woche. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass ein Großteil der Befragten das Ziel hat, pro Woche weniger zu arbeiten. Überraschend hierbei ist, dass ein Viertel die wöchentliche Arbeitszeit sogar um 10 - 20 Stunden reduzieren möchte.

Die aufgewendete Zeit pro Woche für familiäre bzw. partnerschaftliche Pflichten liegt bei rd. einem Viertel unterhalb von sechs Stunden. Die gemeinschaftlich verbrachten Zeiten mit dem Lebenspartner liegen inkl. des Wochenendes durchschnittlich im 10-Stunden-Bereich. Mit den Kindern werden (im gleichen Zeitraum) von den Vätern/Müttern im Durchschnitt rd. sechs Stunden verbracht. Bei 20% dieser Teilgruppe sogar nur max. drei Stunden in der gesamten Woche. Die selbstbestimmte Freizeit inkl. der Wochenenden liegt im Durchschnitt bei fünf Stunden pro Woche. Die dabei bevorzugten Aktivitäten sind überwiegend körperlicher Art, gefolgt von geselligen und intellektuellen Aktivitäten.

Betrachtet man bei dem Management-Nachwuchs die Bewertung von Work-Life-Statements im Vergleich von Ist- zu Sollwerten, so zeigen sich z. T. große Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die Befragten stellen - analog zu etablierten Managern - gesamtheitlich fest, dass der Beruf zu Lasten der Partnerschaft bzw. der Familie geht. Gleichzeitig verneinen sie jedoch die Aussage, dass sich Karriere eigentlich nicht lohnt. Dies bedeutet eine permanente Dilemma-Situation, die stressfördernd wirkt.

Diese postulierte Karriereorientierung korrespondiert mit einem schlechten Gewissen bei dem Gedanken an die Familie und Partnerschaft. Die mentale Bindung an den Beruf ist dominant, da sehr oft in der Freizeit an den Beruf gedacht wird. Der lange Arm der Arbeit erreicht somit auch die persönliche Lebenssphäre. Der Wunsch zur Stressentlastung mittels Ansprechpartner für berufliche und private Probleme im jeweiligen sozialen Umfeld, ist auf der Soll-Dimension wesentlich stärker ausgeprägt als in der Ist-Einschätzung.

Offensichtlich erlernen karriereorientierte Nachwuchskräfte schon frühzeitig relevante Werte-, Einstellungs- und Verhaltensmerkmale von etablierten Managern im Wechselspiel von Leitbild- und Leidbild-Beobachtungen. Eine effektive und effiziente persönliche Problemhandhabung im Work-Life-Balance-Spannungsfeld beinhaltet ein Erkennen der individuellen Barrieren und eine adäquate Stressprophylaxe, bspw. durch Ernährung, entsprechende Nachtruhe, Gesundheitschecks, Priorisierung von persönlichen Zeitbudgets und regelmäßige Bewegung. Kontinuierliche Reflexionen und Diskussionen in der Partnerschaft bzw. im Freundeskreis über die eigene Work-Life-Balance sind zum Selbstbild-Fremdbild-Vergleich unerlässlich.

Innerhalb der Arbeitszeit sollten einige der folgenden operativen Hinweise beachtet werden: Priorisieren Sie täglich Top-Themen mit entsprechenden Zeiten und verplanen Sie maximal 70% Ihrer Arbeitszeit; definieren Sie gewünschte Ergebnisse für Ihre Top-Themen, dies verhindert zielloses Arbeiten; E-Mails werden erst dann geschrieben bzw. beantwortet, wenn Ihre Top-3-Themen des Tages erledigt sind; verhindern Sie für ein bis zwei Stunden pro Tag Ihre unmittelbare Erreichbarkeit über digitale Sklaventreiber; Anrufe mit unbekannten Telefonnummern werden nicht beantwortet; vor Teammeetings fragen Sie nach den Tops und dem Endzeitpunkt; kommunizieren Sie zielgerichtet und ergebnisorientiert.

Jeder Manager und jede karriereorientiere Nachwuchskraft muss im Rahmen seiner Work-Life-Balance-Bilanz sich permanent mit Widerständen auseinandersetzen und eine Resilienz erlangen. Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die von der American Psychological Association (APA) empfohlenen Top-Ten zur Stärkung der persönlichen Resilienz: 1. Soziale Kontakte aufbauen und pflegen; 2. Krisen nicht als unüberwindliches Problem betrachten; 3. akzeptieren, dass Änderungen ein Teil des Lebens sind; 4. sich auf die eigenen Ziele zu bewegen; 5. selbst entscheiden; 6. auf eigene Wachstumschancen achten; 7. ein positives Selbstbild aufbauen; 8. Perspektiven bewahren; 9. optimistisch bleiben; 10. für sich selbst sorgen.

Insgesamt ist festzustellen, dass die aktionale, die mentale und auch die emotionale Bindung an die Arbeit sowohl bei etablierten Managern als auch bei Karrierebewussten weit in deren Privatsphäre hineinreicht. Das Leben gestaltet sich zu einem „Drahtseilakt“ im Dramadreieck von Arbeit, Freizeit und Partnerschaft. Diverse Dilemmata-Situationen und Barrieren müssen im Wechselspiel von selbstgesteckten und fremdgesteuerten Anforderungen und Erwartungen bewältigt werden. Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit sind festzustellen. Diese Dispositionen bergen die Gefahr, dass die so „Erfolgreichen“ meinen, sie haben Erfolg ohne zu erkennen, dass der „Erfolg“ schon lange von ihnen Besitz eingenommen hat!

Autorenhinweis: Prof. Dr. Richard K. Streich ist Geschäftsführer von COMMENT! coaching + communication und Professor für Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaften. Er ist mehrfacher Gewinner renommierter Trainings- und Consultingpreise und arbeitet als Executive-Coach. Seine Interessensschwerpunkte liegen in den Bereichen des Change- und Life-Balance-Management sowie der Persönlichkeitsentwicklung. Er ist Autor von über 100 Publikationen zu diesen Themenfeldern. Für weiterhin Interessierte sei auf die aktuelle Veröffentlichung des Autos hingewiesen: Fit for Leadership – Führungserfolg durch Führungspersönlichkeit, 2. Auflage, SpringerGabler Verlag, 2016.

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